Noëlle Lenoir

Noëlle Lenoir, geboren 1948, wird 1988 die erste Stabschefin des Justizministers und 1992 die erste Richterin im Conseil constitutionnel, dem französischen Verfassungsgericht.

Hintergrund

Noëlle Lenoirs beruflicher Werdegang zeigt auf, wohin es mit einer juristischen Ausbildung gehen kann. Nach dem Studium arbeitet Lenoir zuerst in unterschiedlichen Positionen in der französischen Verwaltung. Sie wird Verwaltungsbeamtin im Senat, leitet die Datenschutzbehörde und amtet als erste Stabschefin des Justizministers. Ab 1984 ist sie Commissaire du Gouvernement (heute: rapporteuse public) im Conseil d'État, einer französischen Institution, die sowohl oberstes Verwaltungsgericht wie auch Beratungsgremium der Regierung ist. Hier ist es Lenoirs Aufgabe, bei Gerichtsverhandlungen und Beratungen Probleme zu analysieren und Lösungen vorzuschlagen.

1990 spezialisiert sie sich in einem besonderen Bereich des Rechts: Sie wird von Premierminister Rocard mit einer Untersuchung über das Bioethikrecht beauftragt. Auf der Grundlage ihrer Arbeit wird in den darauffolgenden Jahren das erste Bioethikgesetz Frankreichs erarbeitet. Dieser Auftrag wird der Beginn eines anhaltenden (nebenberuflichen) Engagements: Sie präsidiert etwa die Europäische Gruppe für Ethik (1992) und das Internationale Bioethik-Komitee der UNESCO (1993-1998) und berät von 2012 bis 2014 als erste Frau die französische Nationalversammlung zu ethischen Fragen.

1992 wechselt Lenoir von der Verwaltung und der Politik ganz in die Justiz: Sie wird -- als erste Frau und jüngste Person in der Geschichte des Gerichts -- Richterin am Conseil constitutionnel, dem französischen Verfassungsgericht. 2001 gibt sie den Posten auf und widmet sich sowohl der akademischen Lehre wie auch erneut der Politik. Sie unterrichtet Biotechnologie-Recht, Europarecht und vergleichendes Verfassungsrecht in New York und London. Dazu wird sie für zwei Jahre französische Ministerin für Europäische Angelegenheiten. Die vorerst letzte berufliche Station Lenoirs führt sie in die Rechtsanwaltschaft. Von 2004 bis 2020 arbeitet sie in verschiedenen internationalen Kanzleien, bis sie sich 2020 (mit inzwischen 72 Jahren) selbständig macht. Lenoir ist damit nicht nur eine Pionierin des Rechts, sondern, mit Blick auf das vielfältige juristische Berufsfeld, auch Inspiration für kommende Juristinnen.

(Quellen: Joly-Coz 2020, Wikipedia; Bildquelle: Noëlle Lenoir Avocats)

Lebensstationen

  • 1948 geboren in Neuilly-sur-Seine (Frankreich)
  • 1967-1972 Jurastudium an der Université Panthéon-Assas, der Sorbonne Université in Paris und am Institut d'études politiques de Paris
  • 1972-1982 Verwaltungsbeamtin im Rechtsausschuss des französischen Senats
  • 1982-1984 Direktorin der Datenschutzbehörde CNIL
  • 1984-2001 Commissaire du Gouvernement im Conseil d'État
  • 1988-1991 Stabschefin des Justizministers
  • 1992-2001 Richterin im Conseil constitutionnel
  • 1992 Präsidentin der Europäischen Gruppe für Ethik bei der Europäischen Kommission
  • 1993-1998 Präsidentin des Internationalen Bioethik-Komitees der UNESCO
  • 2001-2002 Gastprofessorin für Biotechnologie-Recht und Europarecht an der Columbia University in New York
  • 2001-2003 Gastdozentin für vergleichendes Verfassungsrecht am University College London
  • 2002-2004 Ministerin für Europäische Angelegenheiten
  • 2004 Rechtsanwältin, seit 2020 in der eigenen Kanzlei
  • 2012-2014 Ethikbeauftrage der französischen Nationalversammlung

Weiterführende Informationen

  • Joly-Coz, Gwenola: "Noëlle Lenoir, première femme directrice de cabinet d'un garde des Sceaux", in: Journal Spécial des Sociétés 2020, 60, S. 8-9.

Letzte Aktualisierung: L. Pacozzi. Verantwortlich: A. Tschentscher.