Agnes Lundell
Agnes Amanda Lundell, geboren 1878, schliesst 1906 als erste Finnin das Jurastudium ab und wird 1911 die erste finnische Rechtsanwältin.
Hintergrund
Als Agnes Lundell 1906 das Jurastudium abschliesst, sind Finnlands Juristen weder bereit noch gewillt, die Welt des Rechts für Frauen zu öffnen. Jede einzelne Karrierestufe, die ihren männlichen Kollegen ohne Weiteres offensteht, muss sie sich hart erkämpfen. Nach dem Studium findet Lundell nur schwer eine Anstellung. Nach viel Überzeugungsarbeit beginnt sie als Kopistin im Handels- und Industrieausschuss der Finanzabteilung des finnischen Senats. In den darauffolgenden drei Jahren stellt sie zahlreiche Anträge, um als Auskultantin (erste gerichtliche Ausbildungsstufe) am Appellationsgericht in Turku zugelassen zu werden. 1909 wird ihrem Begehren endlich stattgegeben. In dieser Funktion darf sie auch als Gerichtsassistentin am Amtsgericht Helsinki aushelfen. Die Ernennung zur Richterin hingegen bleibt ihr verwehrt. Ihre Anträge werden sowohl vom Berufungsgericht als auch von der Justizabteilung des Senats abgelehnt.
1910 ermöglicht eine Gesetzesänderung finnischen Frauen theoretisch den Zugang zur Rechtsanwaltschaft. Dennoch braucht es wieder mehrere Anträge, bis Lundell ein Jahr später tatsächlich vereidigt wird. Die Bedingung: Sie darf nicht mit vollem Namen, sondern nur als A. Lundell auftreten. Dass Frauen als Rechtsanwältinnen arbeiten können, soll so öffentlich möglichst unsichtbar bleiben. Lundell fügt sich und eröffnet sogleich ihre eigene Kanzlei. 25 Jahre praktiziert sie, insbesondere als Prozessanwältin für Frauen. Parallel dazu engagiert sie sich in der Frauenunion für frauenrechtliche Anliegen und stellt weiterhin Anträge, um Richterin zu werden. 1926 wird es per Gesetz möglich, dass Frauen öffentliche Ämter übernehmen -- und Lundell kann endlich ihren Amtseid ablegen.
Nach ihrem Tod vermacht sie der Universität Abo Akademi in Turku ihr Erbe. Finanziert werden soll davon ein Lehrstuhl, dessen Inhaber (Professorinnen gab es damals noch keine) besonders für die Rechte von Frauen einstehen solle. Lundell ist damit sowohl Pionierin der Rechtwissenschaft als auch Förderin nachkommender Frauen und Juristinnen.
Lebensstationen
- 1878 geboren in Turku (Finnland)
- 1906 Master in Rechts- und Verwaltungswissenschaften an der Kaiserlichen Alexander-Universität (heute: Universität Helsinki)
- 1906-1909 Kopistin im Handels- und Industrieausschuss der Finanzabteilung des Senats
- 1909-1911 Auskultantin am Berufungsgericht Turku
- 1911 Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
- 1911-1936 Rechtsanwältin in der eigenen Kanzlei
- 1926 Richterlicher Amtseid
- 1936 Tod
Weiterführende Informationen
- Silius, Harriet: "Women Jurists in Finland at the Turn of the Century: Breakthrough or Intermezzo?", in: Ulrike Schultz und Gisela Shaw (Hrsg.): Women in the World's Legal Professions, Oxford/Portland 2003, S. 387-399.
- Juntunen, Ritva: "100 vuotta sitten valmistui: suomen ensimmäinen naisjuristi Agnes Lundell", in: Lakimiesuutiset, online publiziert am 07.01.2014.
Letzte Aktualisierung: L. Pacozzi.
Verantwortlich: A. Tschentscher.