Kholoud al-Faqih

Kholoud al-Faqih, geboren 1960, wird 2009 eine der ersten beiden Richterinnen an einem Sharia-Gericht im Nahen Osten.

Hintergrund

Kholoud al-Faqih schreibt 2009 nicht nur im besetzten palästinensischen Gebiet, sondern im gesamten Nahen Osten Rechtsgeschichte: Als erste Frau wird sie in Ramallah zur Scharia-Richterin ernannt. Ihre juristische Karriere beginnt sieben Jahre vorher in einem Zentrum für Rechtsberatung für Frauen: Nach dem Studium arbeitet al-Faqih hier als Rechtsanwältin. Ihre Mandantinnen ersuchen sie meist wegen familienrechtlicher Streitigkeiten oder häuslicher Gewalt – beides wird in Scharia-Gerichten verhandelt. Al-Faqih stört sich zunehmend daran, dass die Stimmen der Frauen bei den ausschliesslich männlichen, oft sehr religiösen Richtern kaum gehört werden. Nach einigen Recherchen erkennt sie, dass Scharia-Richterinnen nirgends explizit verboten sind und beschliesst, sich zu bewerben.

2008 schneidet sie bei den Zulassungsprüfungen mit sehr guten Noten ab und wird 2009 unter dem progressiven obersten Scharia-Richter Taysir Tamimi ins Amt erhoben. Ihre Ernennung stösst sowohl an den Gerichten wie auch in der Bevölkerung auf viel Widerstand. Frauen, so wird argumentiert, seien zu emotional, um in familienrechtlichen Dingen Recht zu sprechen. Al-Faqih lässt sich davon nicht beeindrucken: Sie bezieht ihren Posten, fordert am ersten Arbeitstag Mutterschaftsurlaub sowie Stillzeit und kämpft weiter für juristische Gleichberechtigung. Neben ihrer Arbeit als Richterin stösst sie Reformen des Scharia-Gesetzbuches an und demonstriert an vorderster Front für Frauenrechte. Sie erzählt öffentlich von ihren Erfahrungen als Frau und Richterin in einem zutiefst patriarchalen System und ermutigt damit andere Frauen, ihre Rechte einzufordern. Ihre Geschichte provoziert im arabischen Raum zahlreiche Debatten über Frauenrechte, Stereotypen und geschlechtsspezifische Diskriminierung. 2012 wird sie vom CEO Middle East Magazin unter die Top Ten der einflussreichsten arabischen Frauen weltweit gewählt.

Obwohl al-Faqih vielen als Vorbild dient, folgen im besetzten Gebiet kaum weitere Scharia-Richterinnen auf sie. Der damalige oberste Richter wird mit der Versetzung in den Ruhestand abgestraft; sein Nachfolger ist deutlich konservativer. Umso wichtiger ist al-Faqihs Stimme und Geschichte auch heute noch im Kampf für Gleichberechtigung von arabischen Frauen im Recht.

(Quellen: Harvard Gazette, Wikipedia, BYU Kennedy Center, Wise Muslim Women, Bildquelle: Wise Muslim Women)

Lebensstationen

  • 1960 geboren im heutigen besetzten palästinensischen Gebiet
  • 1999 LL.B. der Al-Quds University (University of Jerusalem)
  • 2001 Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
  • 2001-2008 Rechtsanwältin Women's Center for Legal Aid and Counselling
  • 2003-2008 selbständige Rechtsanwältin
  • 2005 LL.M. Internationales Privatrecht der Al-Quds University
  • 2008 Zulassungsprüfungen zum Richteramt
  • 2009 Richterin am Scharia-Gericht in Ramallah (bis heute)
  • 2012 Wahl in die Top Ten der "100 Most Powerful Arab Women"

Weiterführende Informationen

  • Interview mit Kholoud Al-Faqih an der Konferenz Shari'a Law and Women's Rights in Palestine am BYU Kennedy Center, 2013.
  • Dokumentarfilm The Judge über Kholoud Al-Faqhi von Erika Cohn, 2017.
  • Brownson, Elizabeth: Palestinian Women and Muslim Familiy Law in the Mandate Period, New York 2019.

Letzte Aktualisierung: L. Pacozzi. Verantwortlich: A. Tschentscher.