Tahani al-Gebali

Tahani al-Gebali, geboren 1950, wird 2003 die erste ägyptische Richterin und Vizepräsidentin des Verfassungsgerichts.

Hintergrund

54 Jahre nachdem Alisha Rateb als erste Frau (erfolglos) vor Gericht gezogen war, um Richterin zu werden, können die ägyptischen Juristinnen 2003 in dieser Hinsicht endlich einen Durchbruch verbuchen: Tahani al-Gebali wird – als erste Frau in Ägypten – zur Richterin ernannt. Dass ihr Antrag nicht wie diejenigen ihrer zahlreichen Vorgängerinnen kommentarlos oder mit fadenscheinigen Begründungen abgelehnt wird, ist Ergebnis jahrelanger Kampagnen für juristische Gleichstellung. Ihre Ernennung ist dazu ein aussergewöhnlicher Erfolg: Al-Gebali wird vom damaligen Präsidenten Hosni Mubarak direkt an das höchste Gericht des Landes, das ägyptische Verfassungsgericht, bestellt – und wird zudem gleich zu dessen Vizepräsidentin ernannt.

Al-Gebali hat zum Zeitpunkt ihrer Ernennung bereits 30 Jahre Arbeitserfahrung als Rechtsanwältin und ist bekannt für ihre Opposition gegen die radikal-islamischen Muslimbrüder. Zuvor hatte sie sich im Studium intensiv mit islamischem Recht und Verfassungsrecht befasst und ein Diplom im islamischem Sharia-Recht erworben. Als Anwältin vertritt sie sowohl streikende Arbeiter*innen nach den Brotunruhen von 1977 wie auch Frauen bei Scheidungsklagen oder anderen familienrechtlichen Streitigkeiten. Mit der Zeit setzt sie sich nicht nur vor Gericht für die Anliegen von Frauen ein, sondern engagiert sich auch ausserhalb der Justiz für frauenrechtliche Forderungen. Sie wird zu einer der prominentesten Kämpferinnen für ein erleichtertes Scheidungsrecht und publiziert verschiedene Bücher und Artikel zu feministischen Anliegen.

Knapp zehn Jahre bleibt al-Gebali Verfassungsrichterin. Nach den politischen Unruhen von 2011 verliert sie ihren Sitz am Verfassungsgericht durch eine neue, von den Islamisten entworfene Verfassung. Als Sympathisantin des alten Regimes, Frauen- und Bürgerrechtlerin sowie kinderlose, unverheiratete und berufstätige Frau wird al-Gebali in den Augen der Islamisten zur "Staatsfeindin". Die geplante Verkleinerung des Gerichts zielt explizit auch auf ihre Absetzung. Nach der Revolution von 2013 steigt al-Gebali in die Politik ein, vermag aber keine Erfolge zu verzeichnen. 2022 stirbt sie – umstritten was ihre politischen Absichten und Hintergründen angeht, aber als zentrale Pionierin und Wegbereiterin der ägyptischen Justiz.

(Quellen: Egypt Today, Women's eNews, TAZ, SRF; Bildquelle: Wise Muslim Women)

Lebensstationen

  • 1950 geboren in Tanta (Ägypten)
  • 1968-1973 Jurastudium an der Mansoura Universität
  • 1973-2003 Rechtsanwältin
  • 2003-2012 Richterin und Vizepräsidentin des ägyptischen Verfassungsgerichts
  • 2022 Tod

Weiterführende Informationen

  • Frefel, Astrid: "Im Visier der Islamisten: Die ägyptische Verfassungsrichterin Tahani al-Gebali", in: Neue Zürcher Zeitung, Ausgabe vom 13.12.2012, S. 5.
  • Lindbekk, Monika: "Women Judges in Egypt: Discourse and Practice", in: Nadia Sonneveld und Monika Lindbekk (Hrsg.): Women Judges in the Muslim World: A Comparative Study of Discourse and Practice, Leiden 2017, S. 284-316.

Letzte Aktualisierung: L. Pacozzi. Verantwortlich: A. Tschentscher.