Geneviève Pevtschin
Geneviève Janssen-Pevtschin, geboren 1915, wird 1948 die erste Richterin Belgiens.
Hintergrund
Geneviève Pevtschins muss ihre florierende Karriere als Rechtsanwältin bereits 1940 – nur drei Jahre nach dem Abschluss ihres Studiums – wieder aufgeben. Der Nationalsozialismus hält in Belgien Einzug und die neuen antisemitischen Gesetze verbieten der Jüdin Pevtschin ihren Beruf. Pevtschin schliesst sich der Widerstandsbewegung an. Als Mitglied der Organisation Zéro übermittelt sie während dem Krieg Nachrichten nach London und organisiert gefälschte Ausweise. Weiter ist sie an der Produktion der freien belgischen Zeitung La Libre Belgique beteiligt. 1943 wird sie verraten und zu sechs Jahren Zwangsarbeit in Deutschland verurteilt – dass sie Jüdin ist, entgeht den Nazis aber. Pevtschins durchlebt drei Jahre des Schreckens in verschiedenen Konzentrationslagern.
1946 kehrt sie nach Brüssel zurück und nimmt ihre Arbeit als Rechtsanwältin wieder auf. Drei Jahre später steht Frauen dank einer Gesetzesänderung der Weg an die Gerichte offen und Pevtschin wird im November 1948 Richterin am Tribunal de première instance in Brüssel – und damit die erste belgische Richterin. 1973 folgt die Beförderung an den Cour d'appel, dem sie von 1981 bis 1985 auch als Kammerpräsidentin vorsteht. Hier verhandelt sie insbesondere zivilrechtliche Fälle und Fragen zum geistigen Eigentum. Parallel zu ihrer Tätigkeit am Gericht wird sie 1954 die erste belgische Vertreterin in der Europäischen Kommission für Menschenrechte. Ab 1972 trägt sie massgeblich zum Aufbau des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassbourg bei. Weiter ist sie viele Jahre Redaktionsmitglied des Journal des Tribunaux und der Trimestrial Review of Human Rights. Heute gilt sie als Pionierin der belgischen Justiz, deren mutiges Engagement für Menschenrechte mit verschiedenen Auszeichnungen geehrt wurde.
Lebensstationen
- 1915 geboren in Brüssel
- 1937 rechtswissenschaftliche Promotion an der Université libre de Bruxelles
- 1937-1940 Rechtsanwältin am Appellationsgericht in Bruxelles
- 1940-1943 Mitglied von Service Zéro und La Libre Belgique
- 1943-1945 Haft und Zwangsarbeit
- 1948 Richterin am Tribunal de première instance in Brüssel
- 1954-1966 belgische Vertreterin in der Europäischen Kommission für Menschenrechte
- 1973-1985 Richterin am Cour d'appel in Brüssel
- 1981-1985 Präsidentin der Zweiten Kammer des Cour d'appel in Brüssel
- 2002 Tod
Weiterführende Informationen
- Wiener-Henrion, Jacqueline: "Geneviève Janssen-Pevtschin", in: Les Cahiers de la Mémoire Contemporaine, 2002, 4, S. 147-161.
- Gubin, Éliane et al. (Hrsg.): Dictionnaire des femmes belges: XIXe et XXe siècles, Brüssel 2006.
- Schandevyl, Eva: "Women and the Cours in Twentieth-Century Belgium: An Historical Perspective", in: Sara L. Kimble und Marion Röwekamp (Hrsg.): New Perspectives on European Women's Legal History, London 2019, S. 152-173.
Letzte Aktualisierung: L. Pacozzi.
Verantwortlich: A. Tschentscher.