Marie Popelin

Marie Popelin, geboren 1846, wird 1888 die erste belgische Doktorin des Rechts und kämpft als eine der ersten Frauen in Europa vor Gericht um die Zulassung als Rechtsanwältin.

Hintergrund

Mit 37 Jahren, nach mehreren Berufsjahren als Lehrerin und Rektorin, schreibt sich Popelin für das Jurastudium an der Université libre in Brüssel ein. Frauen sind damals erst seit Kurzem zu universitären Ausbildungen zugelassen. Das entsprechende Gesetz garantiert ihnen einen Abschluss bei entsprechender Qualifikation – regelt aber nicht den Zugang von Frauen zur Berufswelt. Als Popelin als erste belgische Doktorin des Rechts um die Aufnahme in die Anwaltskammer (Barreau) ersucht, wird ihr Gesuch abgelehnt. Das Gesetz zur Anwaltsordnung schliesst Frauen zwar nicht explizit aus, schliesst sie aber auch nicht explizit ein. Argumentiert wird zudem, die (ledige und kinderlose) Popelin könne als Rechtsanwältin ihren familiären Verpflichtungen nicht hinreichend nachkommen. Popelin kämpft sowohl am Appellations- als auch am Kassationsgericht erfolglos gegen den Entscheid. Die konservativen Gerichte stehen aber bald einigen empörten Frauenrechtler*innen und progressiven Medien gegenüber. Der Fokus der belgischen Frauenbewegung verschiebt sich, beeinflusst von der öffentlichen Debatte über die "Affaire Popelin", vom Bildungsfeminismus zu allgemeineren politisch-feministischen Forderungen.

In der Folge wird Popelin zu einer öffentlichen Figur und prominenten Aktivistin im Kampf um Frauenrechte. 1892 gründet sie die Ligue belge du droit des femmes, die erste feministische Organisation Belgiens, mit. Sie vernetzt sich international mit anderen Frauenrechtlerinnen, etwa in Lettie Burlingames Equity Club, organisiert internationale Frauenkongresse und prägt so den belgischen Feminismus entscheidend mit. Obwohl Popelin nie als Rechtsanwältin arbeiten kann, ist ihr Engagement von Erfolg gekrönt: Nach und nach erhalten Frauen Zugang zu bestimmten juristischen Berufen – und 1922 werden Marguerite De Munter-Latinis, Paule Lemy und Marcelle Renson endlich als erste belgische Anwältinnen zugelassen. Popelins Kampf für juristische und rechtliche Gleichstellung wird heute u.a. mit dem Prix Marie Popelin und diversen öffentlichen Orten und Strassen, die nach ihr benannt sind, geehrt.

(Quellen: Mossman 2006, Schandevyl 2019, Wikipedia; Bildquelle: Wikipedia)

Lebensstationen

  • 1846 geboren in Schaerbeek (Belgien)
  • 1865-1883 Lehrerin und Rektorin an verschiedenen Schulen
  • 1883-1888 Jurastudium an der Université libre de Bruxelles
  • 1888/1889 "Affaire Popelin"
  • 1892 Gründerin der Ligue belge du droit des femmes
  • 1897 Organisatorin des Internationalen Frauenkongresses in Brüssel
  • 1912 Organisatorin des Internationalen Frauenkongresses in Brüssel
  • 1913 Tod

Weiterführende Informationen

  • Mossman, Mary Jane: The First Women Lawyers: A Comparative Study of Gender, Law and the Legal Professions, Oxford 2006.
  • Schandevyl, Eva: "Women and the Courts in Twentieth-Century Belgium: An Historical Perspective", in: Sara L. Kimble and Marion Röwekamp (Hrsg.): New Perspectives on European Women's Legal History, London 2019, S. 152-173.

Letzte Aktualisierung: L. Pacozzi. Verantwortlich: A. Tschentscher.